Gemaltes Bild von einem Mädchen mit Regenschirm und gelber Jacke

Ich kenn doch meine Pappenheimer

Kurzgeschichte

Tatsächlich machte er mir gestern ein Kompliment über meinen neuen Wollmantel aus Schachbrettmuster in Senfgelb und Grau.

„Hübscher Mantel“, hat er gesagt.

Was für eine Überraschung, er wollte nur mal schnell hallo sagen und danke, dass ich da gewesen bin.

„Paraside, den Film musst du dir unbedingt ansehen.“

„Ach ja?“

Dass wir nen Bier trinken die nächsten Tage glaube ich erst, wenn ich es sehe. Denn das wird bestimmt nicht passieren. Kenn’ doch meine Pappenheimer.


Mitten in der Nacht liege ich jetzt wach, und denke an diese Widersprüche, an die in sich nicht schlüssige Aneinanderreihungen von Handlungsmotiven, nachdem ich schwitzend aufwachte – habe wieder einmal geträumt, dass er auf mir liegt. Nackt. Mein Gott! Kann man mich schon als eine Art Groupie bezeichnen oder ist er dafür noch nicht bekannt genug? Wo ist der schmale Grad zwischen Obsession und Bewunderung? Und ob er mich denn überhaupt schön findet?

Aber er sieht mich manchmal so süß an, spreche ich mir selbst zu. Bedeutet das nichts? Vielleicht bedeutet das nichts…

Bestimmt, weil ich bin doch auch schön. Gerade eventuell mit fünf bis sieben Kilogramm zu viel, aber schön, in dunkelbrauner Haarfrisur ähnelnd den Hausfrauen der sechziger Jahre, dunkelroter Lippenstift von Chanel und wie die Russin im Club später nach dem Theaterstück betonte, mit zwar traurigen aber unglaublich strahlend dunkelblauen Augen.

Wenn er das nicht fände, dann hätte er doch auch einfach gehen können, ohne mich zu begrüßen. Was hätte das dann für einen Sinn gehabt? Keinen. Immerhin sind wir so etwas wie Freunde, in jedem Fall Bekannte, Bekannte in jedem Fall. Und wenn man jemanden nicht mag, dann umarmt man ihn doch auch nicht. Oder?

Eigentlich weiß er nicht wirklich, wer ich bin. Er weiß nicht, wann ich Geburtstag habe oder wo ich als Kind wohnte, er kennt nicht meine Lieblingsfarbe oder meine größte Angst. Im Grunde, so schätz ich, haben wir fernab des Theaters kaum etwas gemeinsam außer unsere Vorliebe für SNES-Konsolen, Tiere und Rainhard Fendrich. Und Zauberwürfel. Und CD's. Und Kaffee. Aber Kaffee mag ja jeder. Und um mich zu ficken muss er ja solche Dinge auch nicht über mich wissen, oder?


Ich, Lilith, 23, bin ziemlich devot und steh drauf, wenn du so hart versaute Sachen sagst, während du gekleidet bist wie Sherlock Holmes, Benny von der Olsenbande, ein Protagonist aus „Der Idiot“. Reicht doch, oder?


Lange schon hat ein Mann meine Strapsstrümpfe und Korsetts nicht mehr gesehen, die sah immer nur ich im Spiegel, oder meine Freundinnen, wenn wir in der Stadt Mode einkaufen waren im Zara, im Mango, im H&M. Da. Noch so ein Gedanke. Bei Pull and Bear haben sie super riesige Spiegel in den Umkleiden – muss ich aussprechen, was ich gerade denke? Es ist definitiv zu lange her.

Meine Zunge in seinem Hals und seine Hand unauffällig unter meinem Kleid, in der L'osteria, in letzter Reihe des Busses, auf dem Klo des Odoniens; das ist es, was ich will.

Wenn er wüsste, dass ich über ihn schreibe, würde er mich vermutlich für durchgedreht erklären. Sowieso wäre es lediglich weiteres Futter für sein Ego, was so schon viel größer ist als er es sich eigentlich erlauben kann. Aber er ist lieb. Zu mir jedenfalls. Zu mir ist er super lieb gewesen.

Auch wenn ich immer noch nicht glaube, dass er überhaupt irgendwas von dem, was er so von sich gibt, ernst meint. So toll ist er auch gar nicht. Auf keinen Fall, das ist er nicht. Vielleicht flacht mein Verlangen nach ihm ja ab, wenn ich mir das noch weitere neunundneunzig Mal sage. Das Problem daran: ich will gar nicht, dass es abflacht, ich will dass es befriedigt wird.

Erklär mir doch bitte mal, wieso ich ständig daran denke, Mister Libido.


Spiel mit mir das verrückte Labyrinth und sag mir, dass du mich willst.